Ein aufregendes Jahrzehnt im Zeitraffer: Erinnerungen an die 1960er Jahre im beschaulichen Eckernförde
Meine 1960er Jahre bewegten sich, zumindest in meiner Erinnerung, in braven geordneten Bahnen, kleinstadtmäßig, bieder. Kaum jemand fuhr in den Urlaub, Geld dafür war in den meisten Familien, die ich kannte, nicht vorhanden. Die Ansprüche hielten sich in gesunden Grenzen, meistens. Im Nachhinein glaube ich, dass wir zufriedener waren als Jugendliche heute. Kein Handy setzte uns unter Druck, das Fernsehen ließ uns noch in Ruhe, Drogentote, und heute Auto-Attentate und Messerstechereien, waren weitgehend unbekannt – schlichtweg schöne Zeiten.
1960, mit 14, war ich Leseratte und noch sehr naiv, wie die meisten meiner Freundinnen auch. Tschuldigung, Mädels, falls nur ich das gedacht habe. Die Tage ähnelten sich: Schule, Lesen, Federball spielen, Rollschuhlaufen, Kino. Allerdings bleibt mir 1962 unvergesslich. Ein Klassenfest in den Räumen der Gudewerdt-Schule brachen wir ab, weil in den Nachrichten die Hamburger Flutkatastrophe alles beherrschte. Wir schrieben den 16. Februar. Im April dann wurde ich konfirmiert, man schenkte Alpenveilchen, von denen nur die Mütter etwas hatten, und 5-DM-Scheine und natürlich Besteck und Bettwäsche für die Aussteuer.
1963, nach der Schule dann die Frage: Bank oder Finanzamt – ich fing bei der Bank an. Lust hatte ich eher auf Innenarchitektur oder Dolmetschen. Mama wollte aber, dass Geld ins Haus kam. Ich brachte dann im 1. Lehrjahr 88 DM nach Hause und lieferte alles bis auf 10 DM ab, mein Taschengeld. Die Zeiten waren so, keiner dachte sich viel dabei. Wir konnten nie große Sprünge machen.
Dann kam der 22. November 1963, der sich ins Gedächtnis eingebrannt hat: Meine Freundin und ich vergossen Tränen, als abends im Radio ein Musikprogramm abgebrochen wurde und aufgeregte Nachrichtensprecher von den Schüssen auf John Fitzgerald Kennedy sprachen!
Nach ein paar Monaten hatte die Welt das Attentat verdrängt und im Radio war die Rede von weißen Rosen, die herunterregneten, roten Lippen, die geküsst werden sollten. Für „Sugar Baby“, „Yesterday“, „Milord“ steckten wir Geld in die Musikbox, „17 Jahr, blondes Haar“, ja, damals brachten Udo Jürgens und Drafi Deutscher, mit „Marmor, Stein und Eisen bricht“, uns zum Kochen.
Ich ging tatsächlich erst mit 18 zum ersten Mal zum Tanzen – auf ein Berufsschulfest im Seegarten (heute ist es das „Beach Side“), alle gingen hin. Wir schrieben das unspektakuläre Jahr 1964. Und dann hatte ich plötzlich meinen ersten festen Freund. Er hatte ein Motorrad, aber ich fuhr nicht gern mit. Aus Liebe kaufte er dann eine hellblaue Isetta, etwas zwischen Motorrad und Auto auf drei Rädern, Einstieg vorn, aber dafür mit einem Dach über dem Kopf. BMW hat sie bis 1962 gebaut, sie war ein Verkaufsschlager. 2,30 Meter lang, 1,40 Meter breit, Zweisitzer, wir passten perfekt rein. 162.000 wurden immerhin gebaut, nur das Goggomobil brachte es auf höhere Verkaufszahlen – was für eine Zeit, in der noch kaum jemand einen Führerschein der Klasse III, geschweige denn ein Auto hatte. Ein Volkswagen war Luxus für die meisten, außerdem verbrauchte unser himmelblaues Fortbewegungsmittel nur drei Liter.
1966 hatte ich meine Lehre beendet – und legte mich umgehend mit TBC ins Bett. Während des folgenden Kuraufenthalts im Harz bekam ich Besuch mit hellblauer Isetta, mit besagtem „Ein-Zylinder-Auto“. Sie schaffte nicht den ganzen Berg zu meinem Sanatorium, aber wir hörten sie alle kommen.
1967 dann durfte ich wieder arbeiten und wurde kurz danach mit 21 mündig! Nun konnte ich selbst über mich bestimmen, aber eigentlich gab es nichts, das ich unbedingt hätte bestimmen wollen.
Wir steuerten auf das Jahr 1968 zu, für uns in der kleinen Stadt keine wilde Zeit. Der deutsche Sprachgebrauch bezeichnet die Ereignisse, die von der Studentenbewegung der 1960er Jahre ausgingen, als „68er-Bewegung“. Sie hat einer ganzen Generation ihren Namen gegeben. An mir ist diese Zeit ziemlich spurlos vorbeigegangen. In meinem Umfeld in der kleinen Stadt Eckernförde gab es einfach keine Jugendrevolten und keine Studentenbewegung, und ich muss gestehen, damals habe ich mich auch nicht für Politik interessiert.
Aber,- es gab eine Rebellion der anderen Art: Ich trennte mich vom Besitzer der himmelblauen Isetta, die er inzwischen eingetauscht hatte in ein wunderschönes dunkelrotes VW-Cabrio, aber auch das hielt mich nicht, denn ich hatte mich unsterblich verliebt – in einen Leutnant.
Aber schon Anfang 1969 endete diese heftige kurze Liebe, sie hielt der bundeswehrmäßigen Versetzung nicht stand. Inzwischen hatte mein zukünftiger Mann mich und meine kleinen Lieben seit Monaten beobachtet und erkannte seine Chance. Wir heirateten und im neuen Jahrzehnt wurde dann unser Sechsmonatskind geboren. Nun begannen keine wilden, sondern unruhige Zeiten.
Bärbel Hoffmann
2018