Weihnachten bei Familie Nicolai


Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Geschichte „Taschengeld“, die vor einiger Zeit in der Reihe der Altstadtgeschichten auf der Internetseite des Altstadtvereins Eckernförde veröffentlicht wurde. Heute starten wir einen weiteren Versuch und diesmal haben wir uns das Thema Weihnachten vorgenommen: Wir, dass sind wieder Elke Matthiesen, die erzählt, und ich, Bärbel Schiewer, die versucht, das Erzählte in Worte zu fassen. Los geht’s.


Elke erinnert sich zurück an ihre Kindheit in den 40er Jahren, als sie mit ihrer Mutter sowie ihrer Schwester und ihrem Bruder in einer der Wohnungen in der Kieler Landstraße 5 (heute Berliner Straße) lebte. Wie auch in anderen Familien, hatte die Familie Nicolai ein Ritual, was die Adventszeit und den Ablauf des Weihnachtsfestes betraf. Bereits Mitte Dezember hatte Elkes Mutter den Teig für die typischen „Braunen Kuchen“ vorbereitet. Diese durften nicht nur auf dem bunten Teller, den jedes der Kinder in der Familie erhielt, fehlen, sondern sollten auch als Schmuck für den Weihnachtsbaum dienen. Der Teig bestand in der Hauptsache aus den Zutaten Fett, Mehl, Kuchensirup, Gewürze und Zucker. Dieser ruhte dann für etwa 14 Tage in einem Steintopf im Regal. Ein ähnliches Rezept wie das nun folgende schlummerte damals sicher nicht nur bei der Familie Nicolai in handgeschrieben Rezeptbüchern herum.

Abb. 1: Backrezept für „Braune Kuchen“

Gebacken wurden die braunen Kuchen dann bei Bäcker Meyer (heute Seidel Optik) in der Kieler Straße. Neben der allseits bekannten eckigen Form wurden auch einige rund mit einem Loch in der Mitte ausgestochen. Diese sollten dann zum Weihnachtsfest am Tannenbaum hängen. Natürlich backte Elkes Mutter noch weitere Plätzchen in dieser Zeit, dazu zählten Schmalzplätzchen und Mürbeteigplätzchen/Spritzkuchen. Diese wurden mit einer Spritztülle als Kringel oder als „S“ auf das Backbleck gespritzt.


Der Tannenbaum wurde in jedem Jahr von der Gärtnerei Thede in der Kieler Landstraße 19 (heute Jet-Tankstelle) geholt. Dort standen seinerzeit mehrere Gewächshäuser. Die Wohnung der Nicolais hatte eine Höhe von ca. dreieinhalb Metern. Elke erinnert sich, dass der Tannenbaum inklusive der behüteten Silberspitze, die erst vor zwei, drei Jahren zu Bruch ging, stets die gesamte Raumhöhe einnahm. Wie dieser Baum in Abwesenheit ihres Vaters in die Wohnung gekommen ist und wer ihn auf den Tannenbaumfuß gesetzt hat, weiß Elke heute nicht mehr. Der gute Pitchpine Dielenfußboden wurde immer vorsorglich abgedeckt. Neben der Silberspitze wurde der Tannenbaum mit einigen Silberkugeln, Lametta (jedes Jahr nach Gebrauch gebügelt und in Zeitungspapier eingeschlagen) und den zuvor erwähnten runden braunen Kuchen geschmückt. Das Schmücken übernahm ausschließlich die Mutter allein einen Tag vor Heiligabend. Der Baum sollte schließlich eine Überraschung für die Kinder sein, daher wurde die Schiebetür zu dem Nebenzimmer, indem der Weihnachtsaum stand, bis zur Bescherung am Heiligen Abend verschlossen.

Abb. 2: Kieler Landstraße stadteinwärts, rechts Gärtnerei Thede

Abb. 3: Ähnliche Blickrichtung 2024

Dazu waren in jedem Jahr die Großeltern aus der Rendsburger Straße zum Essen eingeladen. Alle hatten sich entsprechend schick angezogen. Elke und ihre Schwester Helga trugen die von der Mutter selbst genähten Kleider, meist aus kariertem Stoff mit weißem Kragen. Bevor das Essen aufgetischt wurde, gab es jedoch die Bescherung. Natürlich musste auch im Hause Nicolai zunächst am Weihnachtsbaum gesungen werden, das obligatorische „Oh du fröhliche“ und „Stille Nacht, heilige Nacht“ musste jedoch reichen. Manchmal sagte Elke noch ein Gedicht auf oder Helga spielte auf der Blockflöte. Dann gab es die Geschenke!
Geschenke? Wünsche hatten die Kinder sicher mehrere, aber die konnte die Mutter nicht so einfach erbringen. Es muss so 1943 gewesen sein, als die Mädchen sich Babypuppen wünschten. Für Helga sollte es eine mit langen Haaren sein, für Elke eine mit Zöpfen. Geld hatte die Mutter nicht. Es musste getauscht werden. Eines Tages im Dezember fuhr sie daher mit den schwarzen langen Lederstiefeln, die vom Vater auf dem Boden standen, mit der Kreisbahn nach Loose. Bei Familie Langbehn in Ilewitt sollte das Tauschgeschäft, wie es zu der Zeit üblich war, Stiefel gegen Babypuppen vollzogen werden. Die Bezeichnung Langbehn/Ilewitt blieb Elke bis heute im Gedächtnis, da die Geschwister von dort eine Reihe von Büchern bekommen haben, die mit diesem Schriftzug versehen waren.
In dieser Jahreszeit wurde es schon früh dunkel und die Mutter kam und kam nicht zurück. Die beiden Mädchen verfielen in Panik und malten sich schon aus, dass sie nun Vollwaisen seien! Doch die Mutter kam natürlich zurück, mit einem Sack Äpfeln im Schlepptau.

Abb. 4: Kreisbahn in Fahrt Richtung Kappeln Abb. 5: Ähnliche Blickrichtung 2024

Am Heiligen Abend konnte Helga dann eine Babypuppe mit einer Bubikopf-Frisur auspacken. Elkes Babypuppe hatte zwar die gewünschten Zöpfe, aber die Puppe war eine Gelenkpuppe! Egal wie man sie hinsetzte oder hinlegte, irgendein Gelenk bewegte sich immer in die falsche Richtung. Naja!
Der ebenfalls gehegte Wunsch nach entsprechenden Puppenwagen wurde nicht gestillt. Somit mussten die vorhandenen Sportkarren weitergenutzt werden. Diese hatte die Mutter in früheren Zeiten im Spielzeuggeschäft Sturm und Söhne (Örtlichkeit unbekannt) gekauft. Von den Kindern wurden diese jedoch als „Rummelkarren“ bezeichnet, da die Holzräder keine Gummibereifung oder ähnliches zur Dämpfung hatten.

Abb. 6: Kinder aus dem Haus „Kieler Landstraße 5“ mit den
„Rummelkarren (Elke Matthiesen hinten Mitte)

Kam eigentlich auch der Weihnachtsmann? Ja, einmal, es war Herr Wegner in seinem Schafsledermantel. Dieser wurde gleich erkannt, somit gab es keine Fortsetzung.
Aber, wie in jedem Jahr, stand für jedes Kind auch ein „bunter Teller“ bereit. Darauf fanden die Kinder die bereits zuvor erwähnten, braunen Kuchen und Äpfel. Dazu kamen noch schrecklich süße Fondant Kringel und selbstgemachte Marzipankartoffeln. Elke erinnert sich, dass diese aus gekochtem Gries mit Gewürzen hergestellt und dann geformt wurden. Abschließend wurden die Kugeln vorsichtig mit einer Gabel auf einer mit Kakao bestreuten Tortenplatte hin und her gerollt.
In weiteren Jahren gab es dann für die Babypuppen selbstgebaute Puppenwiegen und Schränke für die Puppenkleider, die die Mutter für die Mädchen genäht hatte. Wiegen und Schränke wurden in der Tischlerei Riel in der Gartenstraße gefertigt. Die Familie war mit den Nicolais befreundet.


Nun aber zum Weihnachtsessen! Schon damals und das setzt sich heute noch jedes Jahr fort, gab es Rinderfilet mit Salzkartoffeln und Spargel für die ganze Familie. Die Nicolais bekamen das Fleisch bei Schlachterei Böhde am Exer (heute Croque Paris). Die Kartoffeln waren ja stets eingekellert und Spargel wurde in der Saison eingeweckt. Zu Weihnachten waren es dann die leckeren Spargelköpfe, die Familie Nicolai sich zu diesem besonderen Anlass aufgespart hatte. Ein Jahr gab es kein Rinderfilet, sondern Steak vom Pferd vom Pferdeschlachter Berg in der Ottestraße. Die Familie war jedoch froh, im darauffolgenden Jahr wieder das Rinderfilet genießen zu können.

Abb. 7: Schlachterei Böhde, Kieler Straße 61 Abb. 8: Kieler Straße 61, 2024

Einen der beiden folgenden Weihnachtstage verbrachte Elke mit ihrer Familie bei Oma und Opa in der Rendsburger Straße. Dahin kamen dann auch weitere Tanten und Onkel mit ihren Kindern. Elke erinnert sich an sieben Cousins und Cousinen, die dann miteinander spielten.


Natürlich hat auch Elkes Mutter jedes Jahr ein Geschenk von ihren Kindern zu Weihnachten bekommen. Meist waren es gemalte Bilder oder irgendein „selbstgebastelter Scheiß“ (Geflügeltes Wort in der Familie Schiewer). In einem Jahr jedoch haben die Mädchen von ihrem Taschengeld einen Durchschlag (grobes Sieb) bei Reico in der Langebrückstraße für ihre Mutter gekauft. Dabei handelte es sich um einen alten Stahlhelm, der mit Löchern durchzogen worden war. Die Schwestern waren damals sehr stolz, ihrer Mutter ein solches Geschenk machen zu können.

Abb. 9: Kaufhaus Reico, Langebrückstraße 9 Abb. 10: Langebrückstr. 9, 2024

Ein Wunsch der Schwestern sei hier noch einmal gesondert erwähnt. Es muss 1949 oder 1950 gewesen sein. Wieder hatten die Mädchen denselben Weihnachtswunsch: Schlittschuhe! Natürlich nicht solche, wie man sie heute kennt, sondern damals waren es lediglich Kufen, die man sich unter die Schuhe schnallen konnte. Die Mutter machte den Schwestern klar, dass sie nicht wusste, wo sie diese bekommen und wie sie diese bezahlen sollte.
Kurz vor dem Weihnachtsfest war die Mutter einmal mit dem Bruder allein in die Stadt gegangen. Und nun kommt das, was wahrscheinlich alle Kinder einmal gemacht haben: Die Schränke, meist war es der Schlafzimmerschrank, wurden nach möglichen Geschenken durchschnüffelt. Und die Mädchen wurden fündig. Es lagen zwei längliche Pakete im Schrank …
Der Heilige Abend kam und es war schrecklich! Elke und Helga mussten überrascht und freudig tun, als sie ihre Geschenke auspackten. Natürlich kannte Frau Nicolai ihre Mädchen genau und bemerkte die gekünstelten Reaktionen sofort, ließ sich aber nichts anmerken. Erst Jahre später haben Elke und Helga die Schnüffelei gebeichtet.

FROHE WEIHNACHTEN

Abb. 11: Rathausmarkt 1950 Abb.12: Rathausmarkt 2021

Erzählt von Elke Matthiesen
Aufgeschrieben von Bärbel Schiewer November 2024

Fotonachweis:
Abb. 1 aus Küchenlatein.com
Abb. 2, 4 und 11 aus „Altes Eckernförde – Das Archiv 1 + 2“ von W. Eulert,
Fotograf unbekannt
Abb. 6 aus privater Fotosammlung Elke Matthiesen
Abb. 7 und 9 aus „Erlebtes und Erzähltes aus dem alten Eckernförde“
von Ilse Rathjen-Couscherung,
Schriftenreihe der Heimatgemeinschaft Eckernförde e.V.
Abb. 3, 5, 8, 10 und 12 Bärbel Schiewer